Evidenz oder Eminenz?

Diese Frage beschäftigt sich mit einem Augenzwinkern damit, was wir im Alltag in Bezug auf Gesundheitsfragen häufig erleben. Ärzte sollen nach Evidenz beraten, also nach tatsächlich wissenschaftlich erwiesenen und reproduzierbaren Erkenntnissen. In manchen Bereichen sehen sie sich aber vielleicht damit konfrontiert, dass keine ausreichende Evidenz vorhanden ist. Mitunter können dann empirische Erkenntnisse aus Fachkreisen weiterhelfen. Also einem Erfahrungswissen folgende Therapieempfehlungen. Hier beginnt dann aber auch schon ein riesengroßer Graubereich,  an dessen extremen Ende schließlich unumstößliche Meinungen einzelner (selbsternannter) "Eminenzen" stehen.

Es finden sich Eminenzen dabei nicht nur unter Ärzten. Die Beratung in Gesundheitsfragen ist in unserer Gesellschaft inzwischen "vielschichtig". Eine entsprechende Expertise wird nicht immer hinterfragt. Eines der größten Missverständnisse bleibt dabei das "eminente Beispiel". Also das aus dem Brustton der Überzeugung vorgetragene Fallbeispiel, um den Nutzen einer Therapie oder Maßnahme zu belegen. 

Gute Ratschläge kann man in vielen Lebenslagen geben. Aber sie sind wohl in kaum einem Bereich so verbreitet, wie in Gesundheitsfragen. Und so landen Ratschläge mittelbar natürlich auch als „eminente Beispiele" und den damit verbundenen Fragen in der Arztpraxis.

Aber wo liegt das Problem? Nun, ein Fallbeispiel darf nicht zum „eminenten“ Beweis für den Zweck und Nutzen einer Maßnahme werden.

Also: wenn Sie meinen, bei Ihrem Arzt ein verstecktes Augenrollen zu sehen, nachdem Sie eine wundersame Heilung aus Ihrem Bekanntenkreis geschildert haben: seien Sie bitte nicht beleidigt! Im Gegenteil, seien Sie dankbar! Zum einen heißt es, dass Ihr Arzt Sie nicht nach einem „Schema F“ behandeln möchte. Er scheint sich Gedanken über ein wissenschaftliches Herangehen an seinen Beruf zu machen! Es bleibt nun mal ein Missverständnis, dass ein Einzelfall den Nutzen einer Therapie beweist. Denn medizinische Maßnahmen werden nicht danach bemessen, wie sie bei Herrn Schmidt oder Frau Müller gewirkt haben. Nein, sie werden danach bemessen, wie sie (am besten) in einer prospektiven, randomisierten, placebo-kontrollierten Doppelblindstudie gewirkt haben. Ja, hinter diesem sperrigen Begriff verbirgt sich nicht weniger als der „Rolls-Royce“ der medizinischen Forschung. „Doppelblind“ heißt dabei nicht, dass alle blind darauf vertrauen, dass die Therapie schon wirken wird.

Hier einmal der Versuch einer Erklärung dieser wissenschaftlichen Herangehensweise.

Ausgangspunkt: Es gibt zwei Versuchsgruppen

Placebo-kontrolliert:

Gruppe A bekommt den Wirkstoff/die richtige Therapie („Verum“)

Gruppe B bekommt eine Therapie ohne Wirkstoff („Placebo“)

Randomisiert:

Die Zuordnung zu den Gruppen erfolgt nach dem Zufallsprinzip

Doppelblind:

Weder der Versuchsteilnehmer, noch der Durchführende wissen, ob der Teilnehmer nun Placebo oder Verum bekommt. Die „Entblindung“ erfolgt hinterher.

Der letzte Punkt dient übrigens der Vermeidung einer Verzerrung eines Versuchsergebnisses durch Erwartungshaltungen und unbewusste Beeinflussungen in der Wahrnehmung. Deshalb verabreicht man ja auch in der „Kontrollgruppe“ ein Placebo, weil man das Ausmaß und die Beeinflussung des Placebo-Effektes in der Verum-Gruppe noch „abziehen“ muss, um die wirkliche Wirkung statistisch berechnen zu können.

Hieraus leitet sich auch der viel bemühte Satz ab, dass „eine Substanz nicht über Placebo hinaus wirkt“. Denn, das wissen heutzutage die meisten Menschen: auch ein Placebo kann eine Wirkung zeigen!

 

Am Ende ist aber wichtig zu erwähnen: Sie sind natürlich ein Patient und kein Studienobjekt. Jedes ärztliche Vorgehen soll abgestimmt sein und individuelle Voraussetzungen, Gegebenheiten und Wünsche mit einbeziehen. 

Ein wesentlicher Kritikpunkt der evidenzbasierten Medizin bezieht sich nämlich vor allem darauf, dass die entwickelten Methoden der oben genannten Randomisierten placebo-kontrollierten Studien einfach nur versuchen, die wissenschaftlich schier unfassbare Variable Mensch einigermaßen "zu kontrollieren". Laborbedingungen wird man in solchen Studien aber nie erreichen. "Echte lebende Menschen sind so ziemlich der beschissenste Untersuchungsgegenstand, mit dem Wissenschaftler zu tun haben können" (Holm Gero Hümmler, "Mein Problem mit (bestimmten Vertretern) der "evidenzbasierten Medizin" - Relativer Quantenquark.com)

Diese Betrachtung wiederum ist kein Freibrief. Diese Betrachtung darf nicht die Möglichkeit eröffnen,  jede Quacksalberei anwenden zu dürfen, weil "der Mensch ja zu komplex ist und wenn es doch hilft". Vernünftige Betrachtungen verbieten aus wissenschaftlicher Sicht zum Beispiel ganz selbstverständlich eine Anwendung von Homöopathie oder Anthroposophie, weil diese sich eben pauschal einer systematischen wissenschaftlichen Analyse und Untersuchung verschließen und bislang jeglichen Wirksamkeitsnachweis vermissen lassen.